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Wir haben die Kulturschaffende Hilka Dirks in ihrer Berlin-Neuköllner Wohnung besucht und sprachen mit ihr über Raumgestaltung, über die Wahrnehmung von Dokumentarfotografie in Social Media und über Wohnen mit wirklich großen Prints.

Hilka, in unserem Webshop hast du dir das Motiv “Relief” von Johanna-Maria Fritz ausgesucht. Jetzt sitzen wir hier in deinem Wohnzimmer und schauen uns das Poster über deinem Sofa an. Wie kam es zu dieser besonderen Hängung?

Die Positionierung ist wahrscheinlich gar nicht so „besonders“ sondern eher so ganz normal. Aber es ergab für mich am meisten Sinn. Das Sofa – und ich glaube das gilt für viele Menschen – ist vielleicht wie ein Schiff. Oder eine Wohnung in der Wohnung. Ein ganz eigener Lebensmittelpunkt und Kosmos, in dem man existiert. Wo man alles machen kann: träumen, lesen, arbeiten, leiden, essen, lieben und natürlich einfach rumhängen. Und dabei alles im Blick haben. Den Rest meiner Wohnung, das Zimmer, den Balkon, die Welt draußen, dahinter. Und jetzt halt auch noch dieses Steinrelief in Raqqua. Was für eine schöne neue Aussicht.
Guck! Zum Beispiel auf diese kleine Kreatur da im Stein (zeigt auf ein totes Silberfischchen, was auf dem Relief im Print zu sehen ist).




Ist dir wichtig, das deine Räume geräumig, also groß wirken?

Ich glaube es geht nicht so sehr um Größe. Am größten würden die Räume ja durch mehr Leere wirken. Ich mag diese minimalistisch Weite gar nicht so sehr. Ich habe auch immer den Effekt geliebt, wenn man gar nicht die konservativ gedachte visuelle Distanz zu einem Motiv herstellen kann. Also wenn das Auge rein räumlich gar nicht die Möglichkeit hat, die Übersicht zu behalten, sondern man mit dem Hirn direkt im Bild steht. Genau deswegen hab ich auch lange überlegt, das Motiv in mein sehr schmales Bad zu hängen.


Was lässt einen Raum also weiter wirken?

Für mich geht es beim Wohnen mit Bildern wohl also statt um Raum, eher um die Erweiterung von Inspiration und Perspektive. Das Format ergänzt ja fast eine ganze Dimension. Rein formal aufgrund der schieren Größe, aber natürlich auch in der Geschichte. Wobei das schöne ja auch ist, dass die Präsenz des Kontexts von ganz alleine auch wieder abnimmt, wenn man mit etwas lebt. Sei es ein Objekt, Kunst, Bilder. Oder das Motiv ergänzt wird, überschrieben und neu assoziiert vom eigenen Leben.

Deine Wohnung ist gefüllt mit Artefakten, Objet Trouvés und künstlerischen Arbeiten. Erzähl und etwas über diese Ansammlung.

(Lacht.) Ja, naja, gefüllt. Ich versuche sie nicht komplett zu füllen. Das meiste sind tatsächlich gefunden Dinge. Aber nicht im Sinne eines ready-mades, sondern ganz wortwörtlich. Schrabbelige An- und Verkaufläden, Flohmärkte und Treppenhäuser auf der halben Welt. Es fällt mir schwer zu beschreiben, was es genau ist, was eintreten muss, damit ein Objekt bei mir einzieht. Ich empfinde mich manchmal fast wie sorgeberechtigt für Gegenstände. Benjamin spricht im Bezug auf Kunst von der Aura. Ich kann das auch bei Gebrauchsgegenständen empfinden.

 

 

Zum Beispiel dieser Zwiebelkorb aus gestricktem Draht, der in der Küche hängt. Den hat jemand mit seinen Händen hergestellt. Ihn sich ausgedacht, gestaltet und Zeit investiert. Und ich habe ihn aus einer Kiste auf einem Dachboden gezogen. Und nun hängt er da und ich liebe ihn sehr. Und auch mir auszudenken, wo der schon hing und wer den wohl mal hergestellt hat. Die Unregelmäßigkeit der Maschen kann mich wahnsinnig liebevoll und emotional stimmen. Oder das Leder auf dem Fledermausstuhl. Wie viele Menschen saßen da schon drauf. Was haben sie besprochen? Worüber gelacht? So wie Bücher, die dicker werden mit jedem Mal, das man sie liest als ob die Gedanken der Lesenden drin kleben bleiben, so geht mir das auch mit Objekten. Und sicher auch mit Bildern. Kunst. Unsichtbar bleibt Geschichte dran kleben. Aber man kann sie fühlen.

Welches Objekt in deiner Wohnung bedeutet dir besonders viel?

Der Paravant in meinem Schlafzimmer. Der steht da an der Wand und hat so eigentlich gar keine Funktion, außer mir jeden Morgen große Freude zu bereiten. Auch ein eigentlich viel zu großes Objekt für meinen Wohnraum. Ich hab ihn in einer dunklen Ecke in einem Kreuzberger Antiquitätengeschäft gefunden. Und irgendwas an diesem Jahrhundertwendekitsch, an dem skeptischen Eichhörnchen an der Leine, dem Pinselschwung der dicken Pfirsiche, der genieteten Lederkante hat etwas in mir zum Klingen gebracht.

 

 

Susan Sontag warnte schon in den 70ern Jahren davor, passiv Bilder zu konsumieren und damit abzustumpfen. Sie hatte unter Umständen nicht mal eine Idee davon, wie viele visuelle Medien inzwischen permanent auf uns wirken. Wie stehst du dazu?
 
Ich für mich persönlich fühle mich gegenüber schmerzvollen und gewalttätigen Bildern nicht abgestumpft. Im Gegenteil, ich versuche mich eher vor ihnen zu schützen und gleichzeitig nicht die Augen zu verschließen, weil ich privilegiert genug wäre, es zu können. Mit Sicherheit ist dies ein extrem komplexes Thema, welches sich zwischen den weiten Fragen nach Ethik, Trauma, Pietät und Voyeurismus, Echtheit und Propaganda sowie Berichterstattung, Dokument und Zeugenschaft erstreckt. Sontag antwortet sich übrigens in ihrem überaus lesenswerten und bis heute relevanten Essay „Das Leiden anderer betrachten/ regarding the Pain of Others“ selbst auf diese-ihre These und revidiert sie in großen Teilen, unter anderem vor dem Hintergrund des Bosnienkriegs, der 90er Jahre.

 

 

Es ist schwer, sich medial ein möglichst objektives Bild über die Vorkommnisse zB in Gaza zu machen. Kann man diesen Krieg (oder auch andere) begreifen, ohne die Bilder der vielen IG-User zu sehen, die so authentisch und unmittelbar wie die Sicht durch eine Kamera sein kann, zu sehen?

Aber woher wissen wir denn, dass dies authentisch und unmittelbar geschieht? Ich halte mich selbst nicht für medial versiert genug, um so etwas wie „Authentizität“ – also Wahrhaftigkeit – in den sozialen Medien zu beurteilen. Auch empfinde ich große Ambivalenz gegenüber der Ausstellung der Opfer, und damit der Wiederholung, von Schmerz und Elend. Sicherlich gibt es Orte für die Publikation furchtbarer Bilder und sicherlich gibt es politische und moralische Notwendigkeiten auch solche zu zeigen, wenn sie recherchiert und belegt sind. Soziale Medien erscheinen mir hier intuitiv nicht geeignet, da eine Kommodifizierung von Leid stattfindet, indem traffic und Klickzahlen erhöht werden.

 

 

"Reflief" von Johanna-Maria Fritz, das hier nun als Posterprint in deiner Wohnung hängt, erzählt die Geschichte eines Bildhauers in Raqqa. Er verbuddelte seine künstlerische Arbeit, um sie und sich selbst vor den Dschihadisten zu schützen. Die Motive der Edition zeigen die Artefakte, nachdem er sie wieder ans Tageslicht gebracht hat. Eine hoffnungsvolle Geschichte. Was macht diese Story mit dir?

Eben genau das. In Erinnerung rufen, dass es immer Hoffnung gibt. Egal wie finster es ist. Für mich hat sich die Story des Prints aber auch schon lang ergänzt. Mit der biografischen Geschichte der Fotografin. Mit der Erinnerung an den Tag, an dem ich das Poster gekauft habe und den Nachmittag, als ich ihn zum ersten mal bei Another-June-Vintage in Kreuzberg hab hängen sehen. Mit den Abenden, an denen ich auf dieser Couch lag und ihn angeguckt habe, mit deiner Gründungs-Geschichte von FROM. Und natürlich durch diesen gemeinsamen Nachmittag und unser Gespräch. Das hängt da doch jetzt schon alles dran. Unsichtbar und doch ganz deutlich. Und deswegen ist es jetzt gar nicht mehr nur ein Bild, was Hoffnung erzählt, sondern auch Zu-Hause-Sein, Freundschaft und einfach das Leben an sich.

Frohes neues Jahr, liebe Hilka!
Vielen Dank für deine Zeit und Gedanken.

Januar 2024

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