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Die Bilder von Marzena Skubatz changieren zwischen inneren und äußeren Landschaften. Sie fühlt sich zu Themen hingezogen, die mit ihren persönlichen Erfahrungen verbunden sind, wie etwa Migration und der Frage, wie Umgebung und Identität miteinander agieren. Ihre Edition auf FROM erzählt auch von diesen Themen und fragt: Was bedeutet es, fremd zu sein? Warum interessiert sich der Mensch für das Andere, will ihm aber nicht ausreichend Raum geben? Womit identifiziert sich der Mensch — wenn nicht mit der Welt, in der er lebt? 

Wildnis ist kein naturwissenschaftlicher Begriff. Zum einen verstehen wir darunter eine vom Menschen weitgehend unbeeinflusste Naturlandschaft (ebenfalls kein wissenschaftlicher Begriff) — so lassen sich aktuell circa ¼ bis maximal ⅓ der globalen Landoberfläche definieren. Eine andere Begriffsbestimmung ist eine Art Werturteilung. Das Urteil bezieht sich auf ein willkürliches Ordnungsprinzip und kann abwertend im Sinne von “unordentlich”, oder aufwertend als “unverdorben” oder “unschuldig” ausfallen.

Vielleicht liegt es in dem Spannungsverhältnis zwischen der Faszination für das Unkontrollierbare und dem gleichzeitigen Ekel davor – dem Konflikt, den der moderne Mensch quasi zum Fetisch erhoben hat: Das Sehen, Anfassen und Fotografieren (oder in extremen Fällen sogar Zerstören) von wilden Tieren, unberührten Landschaften und ihm fremden Pflanzen. Die Organisation Rewilding Oder Delta kommt diesem Bedürfnis entgegen und bietet Öko-Tourist:innen Safaris an, in einer Landschaft, die versucht sich zu re-verwildern. Je weniger Touristi:innen, desto eher sind die „Big Seven“ zu erleben: Kegelrobbe, Wisent, Stör, Elch, Wolf, Biber und Seeadler.
 


Die NGO versucht, ein
450.000 Hektar großes Areal rund um die Flussmündung, das von Usedom bis vor Stettin reicht, zu re-verwildern. Dass es genau um dieses Areal geht, liegt daran, dass der Anklamer Stadtbruch, ein einst trockengelegtes Moor, vor fast 30 Jahren nach einem Deichbruch überschwemmt wurde – und es bleiben durfte. Heute gehört das Gebiet großteils der Nabu-Stiftung, die es der Wildnis zurückgegeben hat. 

2022 dokumentierte die Fotografin Marzena Skubatz die Arbeit von Rewilding Oder Delta. Sie und die Journalistin Teresa Kraft fuhren für das Greenpeace Magazin ins Delta, um die “Big Seven” und den Stand der Dinge zu sehen. Aber warum ist das Areal darauf angewiesen, Ökotourist:innen anzuziehen?

Der Grund dafür ist einfach: Fläche und alles, was darauf lebt und existiert, muss in unserer Zeit einen wirtschaftlichen Zweck erfüllen. Wenn eine Organisation also ein Areal kauft, soll das in Teilen re-finanziert werden, Gelder in die Kommune spielen und somit die Wildnis den ansässigen Menschen näher bringen. Darum hofft Rewilding Oder Delta, dass sich die Wisente durch die Wälder Westpolens einen Weg ins Oder Delta bahnen und dort nicht nur ihre Funktion im Ökosystem wahrnehmen – sondern zunächst als Tourismusmagnet fungieren.

 

 

Das kulturelle Phänomen — dem Wunsch nach Wildnis, im Sinne einer heilenden Erfahrung — ist Rückenwind für die, die sich für die Rettung des Planeten engagieren. Nachdem der Mensch erkannte, dass ein intakter Planet zwar dem permanenten Wachstum Grenzen setzt, aber gleichzeitig die langfristige Grundlage menschlicher Existenz ist, wurden verschiedene nationale Definitionen von Wildnis festgelegt, um die Areale zu konservieren.

Neuseeland zum Beispiel definiert Wildnis als unbewohnte Gebiete, für die man „mindestens zwei Tagesmärsche zur Durchquerung braucht." Das entspricht 1.500–5.000 km². In den USA fallen mindestens 20 km² große, unbesiedelte, natürliche Landschaften – oder Inseln, die auch kleiner sein dürfen unter das Gesetz zum Schutz der Wildnis. In Schweden werden Gebiete als „Wildniskerne“ bezeichnet, wenn sie größer als 1000 km² sind, mehr als 15 km von Straßen oder Bahnlinien entfernt liegen und keine markierten Wanderwege oder touristischen Einrichtungen aufweisen.

Die Wiederherstellung von Wildnis, wie im Oder Delta durch menschliche Initiative ist paradox, aber die letzte Chance, Lebensräume für unzählige Arten zu re-konstruieren. Was einmal so stark manipuliert wurde, dass Pflanzen, Tiere oder auch Flussläufe dort nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form existieren können, braucht für die Re-Kreation enorm viel Zeit und weitere Manipulation und Stimulation. 

Bis die gigantischen Wisente wieder ihren ursprünglichen Platz im Delta gefunden haben, werden noch viele Jahre vergehen. Die Hoffnung besteht, dass die angesiedelten Menschen, sich in dieser Zeit an ihre Nähe gewohnt haben. Nach der Ansicht des Umwelthistorikers William Cronon ist eine kategorische Trennung von Mensch und Natur eine gefährliche Ideologie, die den Menschen noch mehr von der Natur entfremdet. Laut ihm verhindert sie eine ethisch und ökologisch korrekte, nachhaltige Nutzung der Wildnis, im Einklang mit dem menschlichen Leben.

Kann sich die Menschheit noch einmal an die Natur gewöhnen? Hat der Mensch überhaupt noch genug Zeit, die Natur so zu re-kreieren, dass er wieder mit ihr leben kann?


Die Motive in diesem Artikel sind Fotografien von Marzena Skubatz und sind als Fine Art Prints und Poster auf FROM erhältlich. 


 

Das Portrait der Fotografin ist von Franziska Rieder.  
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